Segeln in der Sahara

Sahara Trans-Tunesien-Tour mit 4×4-Experience by Michael Ortner, Januar 2019 – dokumentiert von Monica

Die „Wüstenschiffe“ sind nicht länger Kamele, sondern Geländewagen. Um ehrlich zu sein ist das keine große Verbesserung. Auch Offroader geben lustige Geräusche und Gerüche von sich, wenn man sie zu sehr quält. Außerdem brauchen sie mehr Treibstoff, gehen öfter kaputt und sind sogar oftmals unbequemer zu reiten.

Andererseits kann man in Kamelen nicht übernachten.

Die Metapher von Schiffen in der Wüste trifft es ziemlich gut. Kurz nachdem wir Douz, Tunesiens Tor zur Sahara, hinter uns gelassen haben, finden wir uns inmitten eines endlosen Ozeans wieder, in dem die Sanddünen bis zum Horizont wogen.

Sand ist zu unserer Linken, zur Rechten, vor uns und auch im Rückspiegel. Der Wind bläst eine feine sandige Gischt über die Dünen und glättet die Brandung zu sanften Wellen.

Schon bald findet der Sand seinen Weg auf das Armaturenbrett, in unsere Ohren und zwischen die Zehen, Stiefel hin oder her. Auch bei nur 0,8 bar für besseren Grip versinken die Reifen im weichen Sandmeer.

Über uns ist kein Sand – da müssten wir schon wirklich das gesamte Unterfangen buchstäblich in den selbigen gesetzt haben. Stattdessen scheint dort eine gewaltige Sonne in einem überlebensgroßen Himmel, so wie ein dreijähriges Kind sie malen würde.

Jeden Nachmittag gegen fünf Uhr versinkt diese Sonne müde und rot in den Wellen hinter dem Horizont.

Bei Ankunft im Camp sinken auch die Temperaturen urplötzlich auf gefühlte minus 58 Grad. Leute wie ich, die im Urlaub auf Shorts und Sandalen bestehen, verstummen und greifen nach gefütterten Jacken und Wollmützen.

Und dann gehen die Sterne auf. Man liest in Fluglinienmagazinen von diesen Sternen, aber um den nächtlichen Wüstenhimmel in seiner vollen Schönheit zu erleben, muss man nachts um zwei zum Austreten aus dem Auto krabbeln und nach oben sehen.

Für einen Augenblick sind die eiskalte Luft auf der bloßen Haut und die fehlende Würde der eigenen Situation vergessen. Denn der Himmel funkelt heller als der Strip in Las Vegas am Silvesterabend. Und wer ein bisschen länger hinter der Düne hockt, erhascht vielleicht den Blick auf eine Sternschnuppe.

Die Gruppe

Genug der Poesie. Zurück zu unserem Sahara-Segeltörn im Januar mit Kapitän Michael Ortner.

Unter den zehn Fahrzeugen waren Michaels altbekannter Disco 2, ein Ford Ranger, zwei Land Cruiser und mehrere Defender, gesteuert von vorwiegend deutschen Paaren, einem österreichischen Pärchen mit genug Ausrüstung, um eine Apokalypse zu überstehen, einem Arzt und einer Krankenschwester aus der Schweiz, zwei Single-Männern, deren Frauen vernünftig genug waren, zu Hause zu bleiben, und zwei Vater-Sohn-Duos.

Wir trafen uns in einem burgartigen Autobahnhotel am Abend vor der 24-stündigen Fährüberfahrt von Genua nach Tunis.

Ich muss zugeben, dass mir bis dahin etwas mulmig gewesen war. Wüsten sind gefährlich, und die Orte auf unserem provisorischen Reiseplan waren Google unbekannt. Das heißt, sie existieren nicht. Mehr als eine Woche würden wir uns selbst verpflegen müssen, ohne jede Chance, frisches Wasser zu kaufen, neuen Wein, Ohrstöpsel, Socken oder andere lebenswichtige Dinge, die wir vielleicht vergessen hatten. Ohne die Möglichkeit, meine Mutter anzurufen. Oder den ADAC, falls wir eine Panne haben sollten.

Aber nach dem ersten Bier setzte die Erleichterung ein, nicht nur wegen des Biers an sich, sondern weil deutlich wurde, dass unsere Mitreisenden interessante, kompetente, lustige und vernünftige Leute waren. Und dass Michael Ortner der einzige Mensch ist, dem ich zutrauen würde, eine Offroad-Tour durch eine wilde und entlegene Gegend wie die Sahara zu führen.

Er hält uns keine Vorlesungen darüber, genügend Wasser zu trinken und uns vor der Sonne zu schützen. Er hält sich nicht mit Marketingtricks oder langen E-Mails auf. Aber er weiß, was er tut, und ist seit vielen Jahren im Geschäft für Offroad-Abenteuertouren.

Das Team

Die Fahrt im Konvoi nach Douz war lang. Durch die pechschwarze Nacht über eine schlecht beleuchtete Autobahn und unter der brennenden Sonne des nächsten Tages ging es vorbei an ausladenden Olivenhainen, Verkaufsständen mit wenig vertrauenswürdigem Treibstoff in Plastikflaschen und unzähligen Fußgängern und Schafen am Straßenrand.

In Douz trafen wir das einheimische Team zu Kaffee und Datteln in einem der zahlreichen Cafés am Hauptplatz: elf Männer unter der Führung von Habib, der schon sein Leben lang Touristen und Motorsportler für die Sahara begeistert.

Habib und sein Team gaben wirklich alles. Ihre Fahrzeuge ächzten unter dem Gewicht von Zelten, Wassertanks, Diesel, Kochzutaten, verbeulten alten Töpfen und Pfannen, diversen Werkzeugen, mindestens einer Million saftigster Orangen und einem halben toten Baum für das abendliche Feuer. Ganz oben wippten die Shishapfeifen auf und ab. So hüpften sie neben uns über die Dünen, gestikulierten und schrien: „Gas geben!“
Vom Mechaniker hieß es, er wüsste mehr über das Innenleben eines Land Rovers als das gesamte Internet und alle Mechaniker Europas zusammen.

Jeden Morgen schlug der Bäcker große Batzen Teig in eine Pfanne, die er mit Asche bedeckte und ins Feuer stellte. Kurze Zeit später empfing er uns mit Körben voller dampfendem Brot, das wir zerrissen und mit Nutella bestrichen. Pflichtbewusst hatten wir große Gläser aus Deutschland mitgebracht, so wie es auf der Packliste stand.

Unser Koch bekam von mir den Spitznamen Küchenchef der Wüste. Auch nach sechs Tagen, in denen er seine Vorräte nicht auffüllen konnte, zauberte er dampfende Suppen, Couscous- und Hammelfleischplatten, frittiertes Hühnchen und Pommes frites mit Harissa, frische Salate und die allgegenwärtigen tunesischen Brik-Teigtaschen. Einmal gab es sogar Folienkartoffeln mit saurer Sahne.

„Ein Deutscher hat uns mal gezeigt, wie man Folienkartoffeln macht, und wir haben 200 Stück für eine Rallye gebacken“, erklärte Habib mit einem Anflug von Stolz. „Sie haben alle aufgegessen. Daher wissen wir, dass die Deutschen Folienkartoffeln mögen.“ Er hatte recht.

Die Abende ums Lagerfeuer waren erfüllt von Gelächter und dem Duft der Shishas. Nach dem Essen holte die Crew ihre Tam-Tams heraus und sang über gebrochene Herzen, Wüstenreisen und Kamele. So jedenfalls meine Theorie. In einem Lied ging es um einen Land Rover, woraufhin der Bäcker aufsprang und mit einer Schaufel tanzte.

Am Rand der Feuerstelle dampfte stets eine Kanne Minztee. „Ein Tee“, rief der Koch fröhlich, während er das süße Getränk schwungvoll aus einem Meter Höhe in winzige Gläser goss, ohne auch nur hinzusehen.

Auch wenn es theoretisch möglich wäre, ohne einheimische Führer durch die tunesische Wüste zu fahren – wofür man schon äußerst erfahren oder äußerst verrückt sein müsste –, wäre das nicht halb so lustig.

Spaß war ein großer Faktor auf unserer Trans-Tunesien-Tour durch die Sahara, aber ebenso faszinierend war alles, was wir gelernt haben. Eine kleine Auswahl:

Lektion 1: Im Sand fahren

Wir lernten viel darüber, im Sand zu fahren. Welche Ausrüstung es braucht, um den Gipfel der nächsten Düne zu erklimmen und nicht wie eine Schildkröte auf dem Wellenkamm zu stranden. Wie wir der Versuchung widerstehen, im Rückwärtsgang oder bei einer beängstigend steilen Abfahrt Bremse und Kupplung voll durchzutreten. Wie wir bei der schrägen Überquerung einer Düne vermeiden abzurutschen.

Am letzten Punkt müssen wir noch etwas arbeiten.

Ich habe gelernt, dass ein Defender sehr viel mehr kann, als ich ihm zugetraut hätte. Und ich ebenso. Vieles lernt man nur durch Ausprobieren. Wie die gleichen Fehler beim nächsten Mal nicht zu wiederholen.

Ich lernte auch, dass am Steuer sitzen viel einfacher als beifahren ist, wenn der Freund neben einem nicht fortwährend brüllen würde: „Links! Rechts! Lenk nicht so viel!“ Aber meistens wusste er sich zu benehmen.

Lektion 2: Auf Michael hören

Sowohl von Michael als auch von unseren Mitreisenden lernten wir viel über Technik und Wartung.

Morgens stellten wir uns im Kreis auf, und während wir von einem Fuß auf den anderen hüpften, um unsere Zehen aufzutauen, malte Michael Miniaturlandschaften in den Sand. Er führte uns vor, was passiert, wenn man das Lenkrad bei der Abfahrt nicht gerade hält, und erklärte den Unterschied zwischen einem Hinterachsdifferenzial und Limited-Slip.

Wir alle lernten, auf Michaels Rat zu hören, um nicht plötzlich in unbequemer Position aus den Sitzgurten zu hängen oder aus einem tiefen Loch gezogen zu werden.

Einmal spielten wir mittags ein Spiel: Wir mussten in Zweier- und Dreierteams eigenständig unseren Weg durch die Dünen zu einem Ziel unserer Wahl finden – einem Baum oder Felsen am Horizont. Es dauerte nur drei Minuten, bis die meisten von uns hoffnungslos festsaßen.

Lektion 3: Auf die kleinen Dinge achten

Wir lernten, dass der Weg das Ziel ist. Als wir den „verlorenen See“ erreichten, auf den wir es abgesehen hatten, entpuppte sich dieser als kleiner Tümpel mit dampfendem Wasser, schreienden Eseln, Plastikmüll und anderen Menschen, ein echter Schock, nachdem wir eine Woche lang niemanden gesehen hatten.

Aber abseits von Einkaufspassagen und Besichtigungen von Sehenswürdigkeiten hatten wir Zeit, die kleinen Dinge wahrzunehmen, die normalerweise an einem vorbeiziehen.

Ein Fuchsbau. Einige Glückliche sahen sogar einen Fuchs. Kleine Grasbüschel und auch mal eine Blume. Ein verrostetes Autoskelett, dessen Innenleben sich über den Sand verteilt hatte (Schicksal des Fahrers unbekannt). Ein Bretterverschlag mit einem verlassenen Café. Eine Säule im Nirgendwo, die wir alle fotografierten, ohne wirklich zu wissen, warum. Kamele, die am Horizont spazierten. Ein Bad in der Ksar-Ghilane-Oase. Krähen. Und erwähnte ich schon den Sand und die Sterne?

Lektion 4: Weniger ist mehr

Wir lernten, dass die Summe der Dinge, die man kaufen und auf einen Defender laden kann, gegen unendlich +1 geht.

Aber mein Freund und ich lernten auch, wie wertvoll es ist, dieser Versuchung zu widerstehen. Denn unser leichter und vergleichsweise nackter Defender 110 glich unsere fehlende Erfahrung im Offroadfahren aus.

Lektion 5: Trocken ist nicht immer heiß

Von Bedenken zum Gewicht mal abgesehen lernten wir, dass eine funktionierende Standheizung etwas sehr Schönes sein kann. In einer Nacht fiel die Temperatur auf minus 5,5 Grad. „Es liegt Schnee“, rief die Crew, die die Dünen noch nie weiß von Raureif überzuckert gesehen hatte.

Echten Schnee haben sie wohl auch noch nie gesehen.

Lektion 6: Dinge reparieren

Wir lernten von den mechanischen Problemen der anderen Fahrer, darunter ein undichter Kühler, den ein unbekanntes arabisches Pulver abdichtete, und ein durch Sand auf der Felge abgesprungener Reifen. Als etwas aus dem Unterboden von Team Österreichs Auto heraushing, konnte die Metallsäge mit sprühenden Funken Abhilfe schaffen.

Unglücklicherweise lernten wir auch, Team Münchens Wagen wieder aufzurichten, nachdem es auf die Seite gefallen war. Das Dämmerlicht hatte dem Fahrer einen Streich in Form von Schatten auf dem Sand gespielt. Auch wenn sie das Auto vertikal nach oben verlassen mussten, waren Fahrer und Beifahrer unverletzt und ihr Dach nur ein ganz bisschen verbeult. Das war das erste und hoffentlich letzte Mal, dass so ein Unfall auf einer von Michaels Tunesientouren passiert ist.

Eine weniger dramatische Lektion lernte mein Freund, als er nachts auf seine Brille trat und diese notdürftig mit Zahnseide und Isolierband reparieren musste. Leider hat er mir untersagt, das Beweisfoto dazu zu veröffentlichen.

Lektion 7: Abschalten und schlafen

Bei unserer heutigen Abhängigkeit von Technik hatte ich gedacht, dass es mich unruhig machen würde, tagelang „kein Empfang“ auf meinem Handy zu lesen. Tatsächlich war das ziemlich toll.

Als wir plötzlich eine kleine Düne mit 3G-Empfang entdeckten, kramten wir alle fieberhaft unsere Telefone hervor, um unseren Familien Bilder vom Mittagessen zu schicken. Dabei erfuhren wir auch, dass Nordeuropa in Schnee und Eisregen versank.

Ich war froh, dem Hintergrundrauschen des täglichen Lebens zu entfliehen und mein Handy gegen ein Buch zu tauschen. Man sollte meinen, dass ich mehr Seiten gelesen hätte, aber ich lernte auch, dass es absolut möglich ist, jede Nacht zehn Stunden zu schlafen.

Zu guter Letzt habe ich die Texte von allen Pink-Floyd-Songs gelernt.

Heimwärts

Die Trans-Tunesien-Tour dauerte insgesamt zwei Wochen, davon zehn Tage in der Wüste. Gemeinsam mit vier anderen Wagen nahmen wir die kürzere Variante und fuhren nach einer Woche zurück.

Für eine Anfängerin wie mich waren sieben Tage im Sandkasten der Sahara genug. Aber nach drei Tagen zurück im Land der Supermarktwürstchen und Toiletten mit automatischer Wasserspülung ertappe ich mich in Tagträumen von der Wüste.

Wenn ich mir die anderen Offroad-Touren von 4×4-Experience by Michael Ortner anschaue, ist Island wohl als Nächstes an der Reihe. Dort ist es nachts vermutlich sogar wärmer.

Empfehlungen

Wenn ihr das gerade lest, weil ihr darüber nachdenkt, Michael Ortners Trans-Tunesien-Tour zu buchen, empfehle ich Folgendes:

●     Wenn Offroadfahren neu für euch ist, lernt wenigstens die Grundlagen bei einem Wochenendkurs. Dann wird die steile Lernkurve nicht ganz so steil, und euer Inneres dreht sich vielleicht nicht wie eine Waschmaschine.

●     Wenn ihr für eine Reise im Januar packt, stellt euch vor, ihr packt für eine Solo-Expedition an den Nordpol. Dann nehmt ihr auf jeden Fall die richtige Kleidung mit.

●     Um euch nicht zu blamieren, sorgt dafür, dass euer Auto in gutem Zustand ist. Nachdem ich Mitreisenden bei ihren mechanischen Problemen über die Schulter gelugt habe, bin ich dankbar für all die Stunden, die mein Freund auf dem Sofa mit YouTube-Videos und Autoforen verbracht hat.

●     Wenn ihr euch beliebt machen wollt, bringt eine Flasche Schnaps mit und teilt diese nach dem Abendessen.

Wenn Einkäufe, Sonnenliegen und Cocktails mit Schirmchen für euch zu einem guten Urlaub dazugehören, ist Tunesien mit Michael Ortner eher nichts für euch. Wenn ihr Wildnis und Abenteuer sucht, vermutlich schon.

Ihr segelt über ein endloses Meer aus wogendem Sand an Orte, die ihr sonst nie zu sehen bekämt und deren Entdeckung nur wenigen anderen vergönnt ist.

Bon Voyage.